Christoph Jünke in der SoZ Nr 6/21

Werner Seppmann (1950–2021)

Die Einsamkeit fundamentaler Kritik
von Christoph Jünke*

An dieser Stelle sollte ein Beitrag von Werner Seppmann stehen, in dem er die Grundzüge seiner Klassenanalyse darlegen wollte, wie sie zuletzt in der Broschüre Gibt es überhaupt noch eine Arbeiterklasse? dargelegt wurde. Dazu kam es nicht mehr, der Tod ging dazwischen. Das hat uns sehr erschüttert, es ist ein herber Verlust.
d.Red.

Die Problem- und Entwicklungsgeschichte des 1950 in Gelsenkirchen geborenen und aufgewachsenen Werner Seppmann begann mit einem Volksschullehrer, der ihn, während seiner Pubertät, für Politik und Geschichte zu begeistern wusste. Und sie wurde gefestigt und geformt durch die Revolte von 1967/68, die das «rote Jahrzehnt» einleiten und den jungen Bäckerlehrling in die Volkshochschule treiben sollte. Dort traf er, Ende der 60er Jahre, auf den Soziologen und Philosophen Leo Kofler, einen linken Intellektuellen, der seine Zuhörerschaft in die Geschichte und Theorien menschlicher Emanzipation, aber auch in die Technik wissenschaftlichen Denkens einführte. «Mit seiner ungestümen Gestik, seinem Elan, seiner prägnanten und bildhaften Sprache», so Seppmann später, «verstand es Kofler, sein Publikum, das aus Schülern, Arbeitern, Lehrlingen und Angestellten bestand (die Studenten sind in großer Zahl erst später in seinen Seminaren aufgetaucht), zu fesseln.»
Seinem Publikum erzählte Kofler von den Widersprüchen des neokapitalistischen Sozialstaats, schaute unter die Oberfläche der Wirtschaftswunderzeit und traute sich, jene Klassengesellschaft beim Namen zu nennen, die der junge Lehrling Seppmann am eigenen Leibe erfahren hatte. Gerade Koflers Alltagsbeobachtungen zu einer Sozialpsychologie der manipulierenden Integration in die herrschenden Verhältnisse beeindruckten das rote Ruhrpott-Gewächs – und die Tatsache, dass Kofler dabei nicht, wie so viele andere, von einem vermeintlich universellen Verblendungszusammenhang redete. Auch wenn es nur Minderheiten sein mochten – die Möglichkeit eines nonkonformistischen Ausbruchs aus dem herrschenden Falschen ist allzeit gegeben. Werner Seppmann wollte zu diesen neuen Linken gehören, wollte die ihm hier gegebene Chance zur Bewusstseinsbildung und Persönlichkeitsentwicklung wahrnehmen. Er absolvierte den zweiten Bildungsweg, begann 1974 an der Ruhr-Universität Bochum, bei Kofler, zu studieren und mischte sich in den Kampf der politischen Strömungen ein.

Der kritische Kommunist
Wann genau und warum er mit seinem Engagement zur DKP ging, weiß ich nicht – andere «Koflerianer» wählten andere Gruppen und Milieus. Doch dem Koflerschen Werk blieb Werner treu – nicht in allem, aber in vielem. 1980 war er Mitherausgeber der ersten Festschrift für seinen Lehrer (Marxismus und Anthropologie), den dort veröffentlichten Aufsatz zur Kritik des Objektivismus arbeitete er während der 80er Jahre zu einer Doktorarbeit aus. Mit dieser 1993 veröffentlichten Programmschrift zur Kritik des Strukturmarxismus, die er 2011 in erweiterter Form und unter dem Titel Subjekt und System abermals vorlegte, griff er den antihumanistischen Althusserianismus scharf an und verscherzte es sich konsequent mit nicht wenigen Alt- und Jungmarxisten.
Da war er auch schon ein Mitherausgeber der Marxistischen Blätter und verstand sich weiterhin als Kommunist – als kritischer Kommunist, denn das stalinistische Korsett als ein System geistiger Bevormundung und praktizistischer Prinzipienlosigkeit war ihm ein Gräuel, den es allzeit zu bekämpfen gelte.
Vom akademischen Wissenschaftsbetrieb verschmäht, in Opposition zu den meisten Strömungen des zeitgenössischen Marxismus und mit einer schon in jungen Jahren antrainierten schroffen Ruppigkeit, vermochte er sein politisches Milieu nur selten zu überwinden. Versucht hat er es jedoch immer wieder, im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts sogar mit einem gewissen Erfolg. An führender Stelle mischte er sich in die ideologischen und organisatorischen Kämpfe des eigenen Milieus ein, indem er persönliche und institutionelle Brücken zu anderen Strömungen eines undogmatischen, aber traditionsbewussten Sozialismusverständnisses aufbaute.

Der Autor
Mit zunehmender Produktivität vertiefte er dabei sein methodologisches Verständnis, schrieb eine Programmschrift wider das postmoderne Denken und, im letzten Jahr erst, eine weitere umfangreiche Kritik Althussers, die einmal mehr seine Stärken wie Schwächen spiegelt: ein feuilletonistisch mäandernder, gelegentlich etwas langatmiger Stil, der scharfe Analysen und Beobachtungen mit gelegentlichen Kurzschlüssen verbindet; und eine Ideologiekritik, die zwischen Genesis und Geltung, zwischen Politik und Wissenschaft nicht immer sauber trennt – in der Regel treffsicher im Großen und Ganzen, aber nicht unproblematisch im Konkreten und Detail.
So produzierte er in den letzten 25 Jahren zahlreiche Broschüren und Bücher zur Analyse des zeitgenössischen Kapitalismus, zur Klassenanalyse und den Perspektiven eines linken, emanzipativen Widerstands, sowie zur Kritik des Computers oder der Sexualität. Immer wieder widmete er sich Fragen auch einer marxistisch verstandenen Ästhetik.
Und nie wurde er müde, seine Analysen und Thesen auch als vortragender Wanderprediger unter die Menschen zu bringen: «Die Kommunisten müssen Hilfe zur Selbstorganisation sozialer Bewegungen leisten und versuchen, der Spontaneität eine Richtung und ein weltanschauliches Fundament zu geben. Die Frage drängt sich natürlich auf, ob man personell und auch aufgrund der konzeptionellen intellektuellen Verfasstheit gegenwärtig das Notwendige und Wünschenswerte leisten kann. Wenn das nicht der Fall ist, ist das aber noch lange kein Grund, aus dieser Not noch eine Tugend zu machen und zu sagen, wir wollen überhaupt keine Orientierungspunkte mehr setzen.»
Dass er mit seinen Versuchen, den kritischen Kommunismus gerade auch unter den Kommunisten selbst zu propagieren, vor einem Jahrzehnt Schiffbruch erlitt (2009 trat er aus der DKP aus), hat tragische und ironische Züge zugleich. Die «schwere Einsamkeit so fundamentaler Kritik selbst unter Linken», mit der einst ein psychoanalytischer Autor Leo Koflers Leben und Werk charakterisierte, könnte als Motto auch über Werner Seppmanns Leben und Werk stehen. Am 12.Mai ist er, mit gerade mal 71 Lebensjahren, im Kreise seiner Familie in Gelsenkirchen gestorben.

*Christoph Jünke war lange Jahre Redakteur der SoZ, arbeitet heute als Historiker und Publizist und ist Vorsitzender der Leo-Kofler-Gesellschaft, www.leo-kofler.de.

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